Elektronische Bücher müssen unsere Freiheit erweitern, nicht mindern
von Richard StallmanIch mag das Buch Der Jehova-Vertrag von Victor Koman und möchte, dass es alle anderen auch mögen. Ich habe es im Laufe der Jahre mindestens sechsmal ausgeliehen. Mit gedruckten Büchern kann man das machen.
Mit den meisten kommerziellen elektronischen Büchern könnte ich das nicht. Es ist nicht gestattet. Und wenn ich versuchen würde dies zu missachten, verfügt die Software in elektronischen Lesegeräten über arglistige Funktionen namens Digitale Rechte-Minderung, kurz DRM, um das Lesen zu beschränken, also einfach nicht funktioniert. Die elektronischen Bücher sind verschlüsselt, sodass sie nur proprietäre Software mit schädlicher Funktionalität anzeigen kann.
Viele andere Gepflogenheiten, an die wir Leser gewohnt sind, sind bei elektronischen Büchern nicht gestattet. Bei Amazons Kindle (für den Swindle ein passenderer Name wäre), um ein Beispiel zu nennen, können Nutzer ein Buch nicht anonym mit Bargeld kaufen. Kindle-Bücher sind üblicherweise nur von Amazon erhältlich und Amazon veranlasst Nutzer dazu, sich zu identifizieren. Folglich weiß Amazon, welche Bücher ein Nutzer gelesen hat. In einem Land wie dem Vereinigten Königreich, wo man für den Besitz eines verbotenen Buches strafrechtlich verfolgt werden kann, ist das mehr als hypothetisch orwell'sch.
Des Weiteren können Sie das elektronische Buch nicht verkaufen, nachdem Sie es gelesen haben (sollte Amazon sich durchsetzen, werden die Gebrauchtbuchläden, in denen ich so manchen Nachmittag verbrachte, Geschichte sein). Sie können es auch nicht an einen Freund geben, denn laut Amazon haben Sie es nie wirklich besessen. Amazon verlangt von den Nutzern eine Endbenutzer-Lizenzvereinbarung (engl. ‚End-User License Agreement‘ oder kurz ‚EULA‘) zu unterzeichnen, die dies besagt.
Sie können sich noch nicht einmal sicher sein, dass es morgen noch auf Ihrem Gerät verfügbar sein wird. Leute, die 1984 auf ihrem Kindle gelesen haben, machten eine orwell'sche Erfahrung: ihre elektronischen Bücher verschwanden vor ihren Augen durch die Anwendung einer schädigenden Softwarefunktion Amazons namens Hintertür, um sie aus der Distanz zu löschen (virtuelles Verbrennen von Büchern; ist es das, was Kindle bedeutet?). Aber keine Sorge, Amazon versprach dies nie wieder zu tun, sofern nicht durch den Staat angeordnet.
Bei Software kontrollieren entweder die Nutzer das Programm (was solche Software libre bzw. frei macht) oder das Programm kontrolliert seine Nutzer (was es unfrei macht). Amazons Richtlinien bezüglich elektronischer Bücher imitieren die Vertriebsrichtlinien unfreier Software, doch das ist nicht die einzige Beziehung zwischen den beiden. Die zuvor beschriebenen schädlichen Softwarefunktionen werden den Nutzern mittels Software, die unfrei ist, auferlegt. Wenn ein freies Programm solch schädliche Funktionen hätte, würden einige Nutzer, die über gute Programmierfähigkeiten verfügen, diese entfernen und die korrigierte Version an alle anderen Nutzer weitergeben. Nutzer können unfreie Software nicht ändern, was sie zu einem idealen Instrument macht, um Macht über die Öffentlichkeit auszuüben.
Jeder einzelne dieser Eingriffe in unsere Freiheit ist Grund genug, nein zu sagen. Wenn diese Politik auf Amazon beschränkt wäre, könnten wir sie umgehen, doch die Politik anderer E-Buch-Händler ist ungefähr die selbe.
Was mich am meisten ärgert ist die Aussicht des Verlustes gedruckter Bücher. The Guardian hat rein digitales Lesen angekündigt: mit anderen Worten Bücher, die nur auf Kosten der Freiheit verfügbar sind. Ich werde kein Buch lesen, das diesen Preis fordert. Werden von heute an in fünf Jahren unautorisierte Vervielfältigungen die einzigen ethisch akzeptierbaren Vervielfältigungen der meisten Bücher sein?
Es muss nicht so sein. Mit anonymer Bezahlung im Internet würde das Bezahlen für Herunterladen von nicht-DRM- oder nicht-EULA-behafteten elektronischen Büchern unsere Freiheit respektieren. Reale Geschäfte könnten solch elektronische Bücher für Bargeld verkaufen wie digitale Musik auf CDs – immer noch verfügbar, obwohl die Musikindustrie aggressiv DRM-eingeschränkte Dienste wie Spotify vorantreibt. Reale CD-Geschäfte treten der Last von teurem Inventar entgegen, doch reale E-Buch-Geschäfte könnten Kopien auf Ihren USB-Datenspeicher schreiben mit USB-Datenspeichern zum Verkauf als dem einzigen Inventar, falls Sie welche benötigen.
Den Grund, den Verleger für ihre beschränkenden E-Buch-Praktiken angeben ist der, die Menschen vom gemeinsamen Austauschen abzuhalten. Sie behaupten es wäre zum Wohl der Autoren; doch selbst wenn es deren Interessen dienen würde (was für sehr berühmte Autoren zutreffen mag), könnten es nicht DRM, EULAs oder der Digital Economy Act, der Leserinnen und Leser für den Austausch verfolgt, rechtfertigen. In der Praxis leistet das Urheberrechtssystem schlechte Arbeit darin, Autoren, abgesehen von den Bekanntesten, zu unterstützen. Ein weiteres Hauptinteresse von Autoren besteht darin, bekannter zu werden, also würde das Teilen ihrer Werke sowohl ihnen als auch den Leserinnen und Lesern nutzen. Warum wechselt man nicht zu einem System, das bessere Arbeit leistet und mit gemeinsamen Teilen vereinbar ist?
Eine Steuer auf Erinnerungen und Internetkonnektivität könnte in großen Zügen dessen, was die meisten EU-Länder machen, bessere Arbeit leisten, wenn nur drei Punkte richtig verstanden werden. Das Geld sollte vom Staat eingenommen und gemäß Gesetzen verteilt werden, nicht von einer privaten Sammelgesellschaft; es sollte zwischen allen Autoren aufgeteilt werden und wir dürfen Firmen nichts davon nehmen lassen; und die Verteilung des Geldes sollte auf gestaffelten Tarifen basieren anstatt in linearer Proportion zu ihrem Bekanntheitsgrad. Ich schlage vor, die Kubikwurzel des Bekanntheitsgrades von jedem Autor zu verwenden: wennn A acht mal so bekannt ist wie B, bekommt A doppelt so viel wie B (nicht acht mal so viel). Dies würde einigermaßen bekannte Autoren angemessen unterstützen anstatt ein paar Stars reicher zu machen.
Ein anderes System wäre es, jedem Leser elektronischer Bücher einen Schalter zu geben, um einen kleinen Beitrag (vielleicht 25 Pence im Vereinigten Königreich) an den Autor zu schicken.
Gemeinsames Austauschen ist gut, und mit digitaler Technologie ist Teilen einfach (ich meine die unkommerzielle Weiterverbreitung exakter Kopien). Also sollte gemeinsames Austauschen legal sein, und das Teilen zu verhindern ist keine Entschuldigung dafür, elektronische Bücher zu Handschellen für die Leserschaft zu machen. Wenn elektronische Bücher bedeuten, dass die Freiheit der Leserschaft entweder zunehmen oder abnehmen muss, müssen wir die Zunahme verlangen.
Dieser Aufsatz wurde unter dem Titel Technology Should Help Us Share, Not Constrain Us in The Guardian am 17. April 2012 mit einiger unerwarteten Redigierung erstveröffentlicht. Diese Fassung beinhaltet Teile dieser Redigierung, stellt aber auch Teile des Ursprungstextes wieder her.
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