Willkommen zur zwölften Ausgabe von Georg's Brave GNU World. Da diese Ausgabe das erste Jahr vollendet, werde ich als Abschluß einen Einblick in die Entstehung und Geschichte der Kolumne geben, die meiner Ansicht nach ein gutes Beispiel für die dem GNU Projekt innewohnende Eigendynamik ist.
Doch da es sich in meinen Augen bewährt hat, beginne ich wieder einmal in der Praxis.
GNU Pascal Compiler
Pascal besitzt seit vielen Jahren eine treue Fangemeinde und es gibt teilweise große Mengen an Pascal Sourcecode, deren Umsetzung auf andere Sprachen einen nicht unerheblichen Aufwand erfordern würde. Aus diesem Grund dürfte der GNU Pascal Compiler (GPC), der momentan hauptsächlich von Peter Gerwinski und Frank Heckenbach betreut wird, für einige Leute von Interesse sein [5].
Die Vorteile liegen auf der Hand. Zunächst einmal handelt es sich um einen 32/64 bit Compiler, der kompatibel mit anderen GNU Programmen wie dem GNU C Compiler und dem GNU Debugger ist. Er läuft auf allen Systemen, auf denen auch der für seine Portierbarkeit bekannte GNU C Compiler eingesetzt werden kann und unterstützt einen hohen Grad an Optimierung. Zudem beseitigt der GPC auf älteren Systemen die eingebaute 64kB bzw. 640kB Beschränkung.
GNU Pascal ist laut Peter Gerwinski der einzige ihm bekannte Compiler, der vollständige Unterstützung des ISO 7185 Pascal Standards sowie des "Quasi-Standards" von Borland Pascal Version 7.0 bietet. Außerdem wurde eine große Untermenge des ISO 10206 Extended Pascal Standards, einige "Pascal for Scientific Calculations" sowie ein paar sorgfältig ausgewählte GNU Erweiterungen implementiert.
Auch wenn die Entwicklung durch den Mangel an "Humanresourcen" etwas langsamer voran geht als erwünscht, so steht doch ein wichtiger Meilenstein vor der Tür, denn es wird an der vollen Integration von GNU Pascal in die GNU Compiler Collection (GCC) gearbeitet. Weitere Pläne beinhalten eine vollständige ISO 10206 Extended Pascal Implementation sowie die Kompatibilität zu neueren Produkten wie Borland Delphi.
Weiter geht es mit einem Projekt aus dem Bereich der Systemadministration und -überwachung.
Moodss
Das "Modular Object Oriented Dynamic SpreadSheet" (Moodss) ist eine modulare Tcl/Tk Applikation, die von Jean-Luc Fontaine geschrieben wurde. Der zentrale Moodss Kern bezieht seine Daten aus verschiedenen Modulen, die beim Start der Applikation geladen werden. Diese Daten werden zunächst in einer Tabelle angezeigt, aus dieser können dann jedoch auch Graphen, 3D Tortendiagramme u.a. erzeugt werden.
Da neben den zahlreichen mitgelieferten Modulen zur Datensammlung auch eigene Module erstellt werden können, lassen sich auch im ersten Augenblick eher ungewöhnliche Datenmodule realisieren. Jean-Luc erwähnte beispielsweise, daß sich ein User Börsenkurse über Moodss anzeigen läßt. Die Konfiguration erfolgt graphisch durch "drag and drop" und sollte niemanden vor unlösbare Probleme stellen. Zudem runden eine gute Anleitung für den Benutzer durch Menüs, Tooltips, Hilfefenster und eine komplette HTML-Dokumentation das Projekt ab.
Diese Faktoren dürften auch ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß Moodss auf der O´Reilly Tcl/Tk Konferenz am 24. August 1999 in der Kategorie "Best System Admin Technology" gewonnen hat. Natürlich untersteht das Projekt der GNU General Public License und es kann über die Homepage von Jean-Luc Fontaine [6] bezogen werden.
Nachdem ich neulich darüber berichtet habe, daß das GNU Privacy Guard Projekt von Werner Koch durch das deutsche BMWi gefördert wird, gibt es nun aus Frankreich erfreuliches zu berichten.
Freie Software in der französischen Regierung
In dem Gesetzentwurf Nr. 117 [7] der französischen Regierung wird festgelegt, daß staatliche Dienste, lokale Bezirke und öffentliche Institutionen nur noch "Software, deren Benutzung und Modifikation kostenfrei erlaubt ist und deren Sourcecode zur Verfügung steht" benutzen dürfen - also Freie Software. Um dies zu erreichen, wird die Bildung einer "Agentur für Freie Software" beschrieben, deren Aufgabe es sein wird, bei der Anwendung dieses neuen Gesetzes zu beraten und festzulegen, welche Lizenzen den Voraussetzungen entsprechen. Weiterhin soll die Agentur Internet-Nutzern offen stehen und sich bei ihren Entscheidungen mit diesen beraten.
Die Tatsache, daß die Formulierungen so präzise sind und der Gesetzentwurf mehrfach den Begriff "Freie Software" enthät, geht u.a. ganz wesentlich auf ein Treffen am 17. November 1999 zurück, bei dem Richard M. Stallman und Frederic Couchet den Senator Pierre Laffitte in diesen Fragen beraten haben. Vorbildlich ist in meinen Augen nicht nur der Einsatz von Seiten der Freien Software Szene, sondern vor allem auch die Offenheit und Gesprächsbereitschaft der französischen Politiker.
Mich hat diese Nachricht sehr erfreut und ich denke, daß es Euch auch nicht anders gehen wird. Wir sollten nun auch andere Regierungen ermuntern, diesem guten Beispiel zu folgen und in diesem Sinne aktiv werden. Ich biete mich Interessenten gerne als Koordinationsstelle an; wer also Lust und Zeit hat, sich in seinem jeweiligen Land zu engagieren, der möge mich bitte kontaktieren [1].
Doch wie bereits erwähnt, gibt es noch mehr erfreuliche Dinge. Diese Ausgabe vollendet das erste Jahr "Brave GNU World" und das finde ich durchaus bemerkenswert.
Ein Jahr Brave GNU World
Meines Wissens nach ist die Brave GNU World weltweit die einzige Kolumne, die monatlich simultan in fünf Sprachen erscheint und der Zuspruch, den ich zum Teil erfahre, ist beachtlich. Ein Großteil von dem, was die Kolumne ausmacht, ist jedoch das Ergebnis der Zusammenarbeit vieler GNU-Freunde auf der ganzen Welt und ich würde gerne schildern, wie es dazu gekommen ist.
Die Geburtsstunde war der 5. Dezember 1998, als ich auf Anfrage von Tom Schwaller einen Vortrag über das GNU Projekt beim GNU/Linux Cluster "CLOWN" in Paderborn hielt [8]. Das Gebiet der "GNU Philosophie" war offensichtlich der Mehrzahl noch gänzlich unbekannt und vielen sagte selbst der Begriff "GNU Projekt" nichts. Im Gespräch berieten Tom und ich darüber, wie dem entgegengewirkt werden könne und er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, im Linux-Magazin über das GNU-Projekt zu schreiben. In etlichen Emails kristallisierte sich dann mehr und mehr die Idee einer monatlichen Kolumne heraus, die über aktuelle Entwicklungen im technischen wie philosophischen Sektor aus Sicht des GNU Projekts berichten sollte, um den Lesern diese Gedankenwelt näher zu bringen. Ohne diesen Initialschub wäre die Brave GNU World vermutlich nie entstanden - danke, Tom.
Nun ist das GNU Projekt jedoch in seiner Anlage her international und eine auf das Deutsche beschränkte Kolumne würde der Idee irgendwo widersprechen. Außerdem war von Anfang an klar, daß die Kolumne auch auf dem GNU Webserver verfügbar sein sollte. Beides bedingte eine Übersetzung ins Englische. Mein Englisch ist sicherlich nicht schlecht, aber mir war und ist durchaus bewußt, daß ich kein "native speaker" bin und daher Fehler mache. Also brauchte ich Leute, die gutes Englisch sprechen und bereit sind, die Kolumne auf Unstimmigkeiten und Fehler hin durchzulesen. Als mir klar wurde, daß ich Testleser brauchen würde, habe ich dieses Konzept auch auf die deutsche Version übertragen und über eine GNU interne Mailingliste nach Freiwilligen gesucht. Es kamen so viele Anfragen, daß ich letzten Endes gezwungen war, eine Auswahl zu treffen, wobei mir ein sechseitiger Würfel gute Dienste geleistet hat.
Der zeitlich entscheidende Faktor ist seit der ersten Ausgabe der Redaktionsschluß des Linux-Magazins. Daher wird die Kolumne erst in Deutsch geschrieben, an die deutschen Testleser geschickt, überarbeitet und geht dann an die Redaktion des Linux-Magazins. Danach fertige ich eine englische Übersetzung an und schicke diese an die englischen Testleser. Besonders bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang übrigens bei Telsa Gwynne, deren erstklassiges Feedback mir jeden Monat neue Einblicke in die Zusammenhänge der englischen Sprache verschafft und ohne die mir die englische Version nur halb so viel Spaß bereiten würde.
Damit war die Struktur der Kolumne eigentlich so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Doch an einem Sonntag Morgen, den ich noch gut im Gedächtnis habe, erreichte mich eine Email von Francois Thunus, ob ich Interesse an einer Übersetzung ins Französische hätte. Daran hatte ich zwar nie gedacht, aber ich war sofort von der Idee begeistert. Kurz darauf meldete sich auch noch OKUJI Yoshinori bei mir und erklärte sein Interesse, auch eine japanische Version anzufertigen.
Um die Struktur hierfür zu erweitern, habe ich die Übersetzer gebeten, sich ebenfalls Testleser zu organisieren und mir die Emailadressen derjenigen zu geben, die entweder Englisch oder Deutsch lesen können. Die Idee dabei war, daß alle Beteiligten alle Versionen erhalten, mit denen sie etwas anfangen können. Auf diese Art und Weise kann bei Unklarheiten oder "Übersetzungsartefakten" auf die andere Version zurückgegriffen werden, um möglichst dicht an der Aussage der ursprünglichen Version zu bleiben.
Da die Kolumne ein breites Publikum ansprechen sollte, wird übrigens mehr Wert auf gute Lesbarkeit als auf wortwörtliche Übertragung gesetzt. Speziell eine Übersetzung ins Japanische erfordert teilweise eine totale Umstrukturierung.
Schon Ausgabe 3 erschien simultan in vier Sprachen und wurde neben dem deutschen scheinbar auch in einem französischen Linux Magazin abgedruckt - auch wenn ich von ihrer Seite nie eine offizielle Bestätigung erhalten habe. Bald darauf meldeten sich unabhängig voneinander Nicolas Garcia-Pedrajas, Diego Fernando Marin und Eloy Sanz-Tapia, die seither die Übersetzung ins Spanische machen. Insgesamt umfaßt die "Brave GNU World Familie" wohl über 40 Leute weltweit, die mir helfen, jeden Monat die Kolumne zu veröffentlichen. Ohne sie wäre die "Brave GNU World" nicht das, was sie ist und dafür möchte ich allen Beteiligten danken.
Zusätzlich möchte ich jedoch diese Gelegenheit nutzen, um in die Zukunft zu schauen. Der erste Punkt betrifft die Testleser. Wie bei allen kontinuierlichen Prozessen zeigen sich vereinzelt gewisse Abnutzungserscheinungen und ich denke, es ist an der Zeit, ein paar neue Mitglieder in die Familie aufzunehmen. Gerade für die deutsche Version hätte ich gerne drei oder vier Leute, die bereit und in der Lage sind, relativ schnell Feedback zu geben. Wegen der Vorlaufzeit des Linux-Magazins zögere ich das Schreiben der deutschen Version häufig bis zum letzten Moment hinaus und es stehen dann nur ein bis zwei Tage für das Feedback zur Verfügung.
Außerdem gibt es bei der Vorstellung von Software-Projekten oft ein Problem. Die Autoren sind im Regelfall so eingespannt oder auf ihre Projekte konzentriert, daß sie nicht dazu kommen, sich bei mir zu melden. Auf kurze Anfrage hin sind sie in der Regel hocherfreut, Fragen über ihr Projekt zu beantworten, aber leider bin auch ich mit meinen Aktivitäten oft so eingebunden, daß mir viele interessante Projekte entgehen. Aus diesem Grund möchte ich eine neue Gruppe von "Brave GNU World" Mitarbeitern einrichten, die man mangels besserer Bezeichung "Scouts" nennen könnte.
Die Aufgabe der Scouts wird sein, die Augen nach potentiell "Brave GNU World" würdiger Software offen zu halten und dann den Autor darauf anzusprechen. Ich habe bereits eine Liste von Standardfragen, die sich in diesem Zusammenhang bewährt hat, die auf der Homepage zu finden ist [3]. Prinzipiell kann sich natürlich jeder auch mal als Scout betätigen, aber es wäre mir sehr lieb, wenn sich ein paar Leute bei mir melden, die diese Aufgabe quasi "offiziell" übernehmen wollen, damit ich diesen wichtigen Teil in guten Händen weiss.
Es gibt noch ein oder zwei andere Ideen, die mir im Kopf herumgehen, aber ich denke, die hebe ich mir lieber für später auf. Wie immer freue ich mich auf Eure Kommentare, Anregungen, Ideen und Fragen [1] und ich hoffe, auch im zweiten Jahr "Brave GNU World" dem Einen oder Anderen ein paar Anregungen mitgeben zu können.
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Last modified: Fri Mar 10 12:19:14 CET 2000